TEILMODUL 3
WANDEL IN WORTE FASSEN
SCHRITT 1 – ANNÄHERN
SCHRITT 2 – ANALYSIEREN UND DISKUTIEREN
SCHRITT 3 – INTERPRETIEREN
SCHRITT 4 – JETZT IHR!
Romano: Jenseits von Köpenick, Albumcover; Label: Virgin
Die Erfahrungen von Freiheit oder gar Anarchie nach 1989 haben in den letzten Jahren v.a. Schriftsteller*innen und Musiker*innen beschrieben, die damals jugendlich waren. Entstanden sind Songs und Bücher, die eindrücklich, vielschichtig und sehr unterschiedlich die damaligen Wandelerfahrung eingefangen und kommentiert haben – Medien, um diese Zeit zu verstehen.
Der Rap-Song König der Hunde von Romano ist relativ unbekannt. Doch gerade diese Verarbeitung der (autobiographischen) Erfahrungen des 1977 in Ostberlin geborenen Sängers (Romano Gehrke) gibt ein authentisches Stimmungsbild aus dem „wilden Osten” aus der Sicht von Jugendlichen.
Jugendliche waren in den Wende- und Nachwendejahren häufig sich selbst überlassen. Die Generation der Eltern benötigte zunächst alle Aufmerksamkeit dafür, sich selbst unter den geänderten Bedingungen zurecht zu finden.
Der Song erschien 2017 und kann als Verarbeitung der Erfahrungen in dieser Zeit sowie – aus der Retrospektive – auch als Kommentar gelesen werden.
Statt aber nur Hoffnung oder nur Verlust besingt der Rapper die konkreten Herausforderungen der neuen Freiheit. Die Euphorie des Aufbruchs kontrastiert er mit den Erfahrungen in einer neuen, teilweise überwältigenden Wirklichkeit, zu der auch neue Formen von Konsum und Freizeit gehören.
Das durchstrukturierte und organisierte Leben als Pionier beschreibt Romano in Auf- und Ablösung durch eine Phase, die mit dem Autor André Kubiczek als „fabelhaftes Jahr der Anarchie” beschrieben werden kann. Die Ambivalenzerfahrungen der sog. Wendegeneration werden in König der Hunde exemplarisch verarbeitet.
Romano, der „Rapper mit den Zöpfen”, heißt eigentlich Roman Geike. Er wurde 1977 in Ost-Berlin geboren und macht seit er 15 Jahre alt ist Musik. Bekannt ist er auch als Moderator bei Radio Fritz in Berlin.
Romano: König der Hunde (2017)
Copyshop, Vertigo
Statt aber nur Hoffnung oder nur Verlust besingt der Rapper die konkreten Herausforderungen der neuen Freiheit. Die Euphorie des Aufbruchs kontrastiert er mit den Erfahrungen in einer neuen, teilweise überwältigenden Wirklichkeit, zu der auch neue Formen von Konsum und Freizeit gehören.
Das durchstrukturierte und organisierte Leben als Pionier beschreibt Romano in Auf- und Ablösung durch eine Phase, die mit dem Autor André Kubiczek als „fabelhaftes Jahr der Anarchie” beschrieben werden kann. Die Ambivalenzerfahrungen der sog. Wendegeneration werden in König der Hunde exemplarisch verarbeitet.
Romano, der „Rapper mit den Zöpfen”, heißt eigentlich Roman Geike. Er wurde 1977 in Ost-Berlin geboren und macht seit er 15 Jahre alt ist Musik. Bekannt ist er auch als Moderator bei Radio Fritz in Berlin.
Romano: König der Hunde (2017)
Copyshop, Vertigo
SCHRITT 1 – ANNÄHERN
Schaut Euch das Portrait von Romano oben genauer an. Welchen Eindruck habt Ihr von ihm als Künstler?
Hört Euch nun den Song an. Ihr werdet merken, es gibt jede Menge Begriffe. Welche kennt Ihr, welche nicht?
Sucht Euch rechts einige der Wörter oder GIFs aus. Überlegt in der Gruppe, was sie bedeuten könnten und klärt sie ggf. mithilfe des Internets.
SCHRITT 2 – ANALYSIEREN UND DISKUTIEREN
Arbeitet mit Arbeitsblatt 1.
Lest Euch den Text sorgfältig durch und füllt die erste Spalte aus.
Schaut Euch danach das Musikvideo in Ruhe an und ergänzt in Spalte 2.
Besprecht in der Gruppe Eure Eindrücke.
SCHRITT 3 – INTERPRETIEREN
Unten findet Ihr Auszüge aus einem Roman, einem Sachbuch sowie aus einem Schüleraufsatz.
Alle drei Texte stammen aus der Feder von Menschen, die um 1990 Jugendliche waren. Die ersten beiden Texte sind aus der Erinnerung entstanden, der letzte Text ist zeitgenössisch.
Lest Euch die Texte durch und nehmt den Song König der Hunde hinzu. Tragt in Arbeitsblatt 2 zusammen, was sich damals für die Jugendlichen verändert hat.
Ergänzt auf dem Arbeitsblatt aus Eurem Vorwissen über Kindheit und Jugend sowie Erziehung in der DDR, wie die Situation vor 1989/90 war.
Fasst abschließend in eigenen Worten zusammen: Was charakterisiert die „Wendegeneration”?
TEXTAUSZUG 1
aus: Clemens Meyer: Als wir träumten, Frankfurt am Main, 2007.
Clemens Meyer, geb. 1977 in Leipzig, ist Schriftsteller
„Wir waren um die fünfzehn damals, und Holsten Pilsener war zu herb, und so soffen wir meistens nationalbewusst. Leipziger Premium Pils. Das war auch preiswerter, denn wir bezogen es direkt vom Hof der Brauerei. Meistens nachts. Die Leipziger Premium Pilsner Brauerei war der Mittelpunkt unseres Viertels und unseres Lebens. Der Ursprung durchsoffener Nächte auf dem Vorstadtfriedhof, endloser Zerstörungsorgien und Tänze auf Autodächern während der Bockbiersaison. […] Doch meistens endeten diese seltsam traumartigen Flugnächte mit einer Landung in der Ausnüchterungszelle oder auf dem Flur des Polizeireviers Südost, mit Handschellen an die Heizung gekettet. Als wir Kinder waren (ist man mit fünfzehn auch noch ein Kind? Vielleicht waren wir es nicht mehr, als wir das erste Mal vorm Richter standen, der meistens eine Frau war, oder als sie uns das erste Mal nachts nach Hause brachten und wir am nächsten Tag zur Schule gingen, oder auch nicht, und die Abdrücke der verfluchten 8 noch an unseren dünnen Handgelenken hatten), als wir Kinder waren, war der Mittelpunkt des Viertels für uns der große „Volkseigene Betrieb Duroplastspielwaren und Stempelsortimente“, aus dem uns ein ansonsten unbedeutender Klassenkamerad, über seine Stempelkissen herstellende Mutter, Stempel und kleine Autos besorgte, weshalb er von uns keine Dresche und manchmal ein paar Groschen bekam. Der große VEB ging 1991 pleite, und das Gebäude wurde weggerissen, und die Mutter des kleinen Stempel- und Modellautohehlers wurde nach zwanzig Jahren arbeitslos und erhängte sich auf dem Außenklo, weshalb der unbedeutende Junge von uns auch weiterhin keine Dresche und manchmal ein paar Groschen bekam. Jetzt steht dort ein Aldi und ich könnte mir dort billig Bier oder Spaghetti kaufen.“ (S. 7f.)
TEXTAUSZUG 2
aus: Sabine Rennefanz: Eisenkinder. Die stille Wut der Wendegeneration, München 2014.
Sabine Rennefanz, geb. 1974 in Beeskow, ist Journalistin und Autorin
„In der BBC sollte ich erzählen, wie ich die Wende erlebte, damals. Sie wollten unbedingt hören, wie toll es gewesen war, auf der Mauer zu tanzen und plötzlich in Freiheit zu leben. Es war schwer zu vermitteln, dass ich nicht auf der Mauer getanzt habe, dass die Wende viel länger dauerte als eine Nacht im November 1989.
Nach und nach verschwand der alte Staat, aber der neue war noch nicht entstanden. Kombinate wurden aufgelöst. Straßenschilder abmontiert, Gebäude geleert. Nach ein paar Jahren sah man überall frisch geteerte Straßen, pink und gelb gestrichene Plattenbauten. […] Ich registrierte das alles wie in Trance. Alles, was bisher richtig war, galt nicht mehr. Wir hatten, und das wurde mir erst langsam klar, das falsche Leben gelebt, nicht nur meine Eltern, auch ich mit meinem stillen Ehrgeiz, meinen großen Plänen. (S. 77f.)
Meine Freundin und ich verarbeiteten unsere Erlebnisse allein. Vielleicht war unsere Internatssituation speziell, doch auch anderswo ließen die Eltern in jener Zeit ihre Kinder aus den Augen. Wir wurden Waisen. […] Der Druck war weg, aber was man mit der neuen Freiheit anfangen sollte, wusste auch niemand so genau. Es gab keine Vorbilder, die bestimmte Ideen oder Ideale vertraten. Wir waren die, die Ideen hatten. […] Es gab keine Regeln mehr. Es stimmt wahrscheinlich nicht, es muss ja neue Regeln und neue Gesetze im vereinigten Deutschland gegeben haben. Es gab nur niemanden, der darauf achtete, dass sie eingehalten wurden. ’Man konnte auf der Straße neben Polizisten kiffen und es gab keinen Ärger. Die Polizisten aus der DDR kannten das ja eh nicht, und der Rest hatte andere Sorgen. Es gab so eine Gruppe aus Magdeburg, die haben sich immer Autos geklaut, um nach Berlin zu fahren. Zum Raven, die haben das dann wahrscheinlich hier stehen lassen, weil sie zu druff waren’, erinnert sich DJ Jauche.“ (S. 95f.).
Nach und nach verschwand der alte Staat, aber der neue war noch nicht entstanden. Kombinate wurden aufgelöst. Straßenschilder abmontiert, Gebäude geleert. Nach ein paar Jahren sah man überall frisch geteerte Straßen, pink und gelb gestrichene Plattenbauten. […] Ich registrierte das alles wie in Trance. Alles, was bisher richtig war, galt nicht mehr. Wir hatten, und das wurde mir erst langsam klar, das falsche Leben gelebt, nicht nur meine Eltern, auch ich mit meinem stillen Ehrgeiz, meinen großen Plänen. (S. 77f.)
Meine Freundin und ich verarbeiteten unsere Erlebnisse allein. Vielleicht war unsere Internatssituation speziell, doch auch anderswo ließen die Eltern in jener Zeit ihre Kinder aus den Augen. Wir wurden Waisen. […] Der Druck war weg, aber was man mit der neuen Freiheit anfangen sollte, wusste auch niemand so genau. Es gab keine Vorbilder, die bestimmte Ideen oder Ideale vertraten. Wir waren die, die Ideen hatten. […] Es gab keine Regeln mehr. Es stimmt wahrscheinlich nicht, es muss ja neue Regeln und neue Gesetze im vereinigten Deutschland gegeben haben. Es gab nur niemanden, der darauf achtete, dass sie eingehalten wurden. ’Man konnte auf der Straße neben Polizisten kiffen und es gab keinen Ärger. Die Polizisten aus der DDR kannten das ja eh nicht, und der Rest hatte andere Sorgen. Es gab so eine Gruppe aus Magdeburg, die haben sich immer Autos geklaut, um nach Berlin zu fahren. Zum Raven, die haben das dann wahrscheinlich hier stehen lassen, weil sie zu druff waren’, erinnert sich DJ Jauche.“ (S. 95f.).
TEXTAUSZUG 3
Auszug aus einem Schüleraufsatz
aus: Vera-Maria Baehr: Wir denken erst seit Gorbatschow. Protokolle von Jugendlichen aus der DDR, Recklinghausen 1990.
Franziska H., 14 Jahre
„Wir machen jetzt mehr selbst. Wir dürfen in den Schulklub. Auch einen Schulfunk haben wir auf einmal. Die Klassen richten sich jetzt die Räume ein, wie sie wollen. Die alten Reihen werden aufgelöst. Unsere Tische stehen im Kreis. Und wir haben einen Klassensprecher. Gleich nach dem 8. Oktober, als die Polizei so geprügelt hat, kamen wir auf die Idee, unsere Schulbücher abzugeben. Wir meinten, dass speziell in Stabü (Staatsbürgerkunde) alles Quatsch war, was da drinstand. Wir haben die Bücher eingesammelt und sie auf den Lehrertisch gelegt. Dazu einen Zettel, auf den wir geschrieben haben, worüber wir diskutieren wollen. Aber den hat die Lehrerin übersehen. Wohl mit Absicht. Dann wollte sie eine Arbeit schreiben. Aber wir haben gestreikt. Sie hat dann darauf verzichtet. Später sind wir nicht mehr zu Stabü gegangen. Dafür haben sie uns in der Zeit andere Stunden gegeben. Und jeden Freitag wurde freiwillig eine Stunde zum Diskutieren hinten dran gehängt. Ich war einmal da, aber es haben alle durcheinander geredet.
[…]
Ich finde, das meiste ist wie früher. Nur, dass wir im Lehrplan hinterherhängen, weil wir zu viel diskutieren. Viele stehen in Geografie und Geschichte auf fünf, weil so viele Stunden weggefallen sind. Nun weiß keiner, wie es weitergehen soll. Aber irgendwie macht es jetzt mehr Spaß. Warum, weiß ich selber nicht.“ (S. 45ff.)
„Wir machen jetzt mehr selbst. Wir dürfen in den Schulklub. Auch einen Schulfunk haben wir auf einmal. Die Klassen richten sich jetzt die Räume ein, wie sie wollen. Die alten Reihen werden aufgelöst. Unsere Tische stehen im Kreis. Und wir haben einen Klassensprecher. Gleich nach dem 8. Oktober, als die Polizei so geprügelt hat, kamen wir auf die Idee, unsere Schulbücher abzugeben. Wir meinten, dass speziell in Stabü (Staatsbürgerkunde) alles Quatsch war, was da drinstand. Wir haben die Bücher eingesammelt und sie auf den Lehrertisch gelegt. Dazu einen Zettel, auf den wir geschrieben haben, worüber wir diskutieren wollen. Aber den hat die Lehrerin übersehen. Wohl mit Absicht. Dann wollte sie eine Arbeit schreiben. Aber wir haben gestreikt. Sie hat dann darauf verzichtet. Später sind wir nicht mehr zu Stabü gegangen. Dafür haben sie uns in der Zeit andere Stunden gegeben. Und jeden Freitag wurde freiwillig eine Stunde zum Diskutieren hinten dran gehängt. Ich war einmal da, aber es haben alle durcheinander geredet.
[…]
Ich finde, das meiste ist wie früher. Nur, dass wir im Lehrplan hinterherhängen, weil wir zu viel diskutieren. Viele stehen in Geografie und Geschichte auf fünf, weil so viele Stunden weggefallen sind. Nun weiß keiner, wie es weitergehen soll. Aber irgendwie macht es jetzt mehr Spaß. Warum, weiß ich selber nicht.“ (S. 45ff.)
SCHRITT 4 – JETZT IHR!
EINE KURZGESCHICHTE SCHREIBEN
Suche Dir aus dem Material (Liedtext, Textauszüge) eine Redewendung heraus, die Dich besonders anspricht.
Nimm das Zitat als Titel und schreibe eine Kurzgeschichte über einen Moment oder ein Erlebnis im Lebens eines*r fiktiven Jugendlichen um 1990 in den neuen Bundesländern.
In dieser Kurzgeschichte können Gegenstände, Phänomene oder Ereignisse vorkommen, die bereits in König der Hunde oder den Textauszügen angesprochen werden.
TIPP: Merkmale einer Kurzgeschichte
Kurzer Text (2-3 Seiten), keine Einleitung,
unmittelbarer Beginn der Handlung,
wenige Figuren, ein zentrales Thema,
ein zentraler Konflikt, Alltagssprache,
plötzliches und offenes Ende
Kurzer Text (2-3 Seiten), keine Einleitung,
unmittelbarer Beginn der Handlung,
wenige Figuren, ein zentrales Thema,
ein zentraler Konflikt, Alltagssprache,
plötzliches und offenes Ende